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Abitur vor 50 Jahren …

Ingrid Oberst-Rauschelbach

ABITUR vor 50 Jahren am damaligen Staatlichen Gymnasium an der Burgstraße (neusprachlich und sozialkundlich) Kaiserslautern

Tatsächlich! 50 Jahre nach dem Abitur 1967 halte ich den Umschlag mit meinen Original-Abiturarbeiten samt Schmierblättern, wie wir sie nannten, in den Händen. Aus einer Laune heraus hatte ich die Idee, bei meiner ehemaligen Schule telefonisch nach den Abituraufgaben zu fragen.

Und es war so einfach: Freundlich teilte mir die Schulsekretärin mit, dass ich die schriftlichen Aufgaben bereits nach 10 Jahren hätte anfordern können. In einem kurzen Email-Austausch mit Herrn Daniel Jonietz waren die Formalien schnell geklärt und ein paar Tage später blätterte ich in meinen damaligen Arbeiten.

Ich war gespannt, was ich geschrieben hatte und wie ich – knapp 18jährig – die Aufgaben bewältigt hatte.

Eine Mädchenklasse im B-Bau in den 60er Jahren

Zuerst die Mathe-Aufgaben;
Eine Ansammlung von Formeln und Schaubildern auf Millimeterpapier, mit denen ich heute so gut wie nichts mehr anfangen kann. Völlig erstaunt, mit Unverständnis und gleichzeitiger Hochachtung vor mir selbst, dass ich solche Aufgaben einigermaßen passabel gelöst hatte, schaute ich mir die Berechnungen der Koordinaten, der Asymptoten und der Wendetangente an. “Die Aufgaben sind alle gedanklich richtig erfasst und im Wesentlichen gut gelöst“. Und schließlich werden mir „…gelegentliche Unsicherheiten bei der Lösung schwieriger Aufgabenteile“ attestiert, was in der Beurteilung ein „befriedigend“ ergibt.

Ganz anders meine Arbeit im Fach Deutsch. Merkwürdigerweise konnte ich selbst noch nach 5 Jahrzehnten das Abiturthema, das ich gewählt hatte, nahezu wörtlich zitieren. Eine Erklärung dafür habe ich nicht. Lag es vielleicht daran, dass mir das Deutsch-Abitur als dramatisch in Erinnerung blieb? Denn nach der Hälfte der uns zur Verfügung stehenden Zeit hatte ich noch keine Zeile zu Papier gebracht. Ich lief Gefahr, die Nerven zu verlieren und panisch zu werden. Ein Toilettengang half und brachte mich dazu, meine Gedanken zu ordnen.

Das Lehrerkollegium in den 60er Jahren

Das Thema, für das ich mich nach langem Zaudern entschied, war ein Zitat des Historikers Friedrich Meinecke: „Das Streben nach Macht ist ein urmenschlicher Trieb, der blind um sich greift, bis er äußere Schranken findet. Und wenigstens beim Menschen beschränkt er sich nicht auf das, was zum Leben und Gedeihen unmittelbar notwendig ist, sondern man genießt mit Lust die Macht an sich und in ihr sich selbst und seine gesteigerte Persönlichkeit.“

Die Aufgabe: „Erläutern Sie die Worte Friedrich Meineckes und bringen Sie Beispiele aus Ihrer eigenen Erfahrung, aus der Geschichte oder aus der Dichtung“.

Beim jetzigen Lesen des Textes erinnere ich mich, wie mir die Zeit davongelaufen war und es wird deutlich, dass eine zusammenfassende Folgerung der Argumente fehlt. Die Lehrer bescheinigten mir „Guter Einleitungsgedanke… Darstellung i.a. flüssig..“. Doch weiter heißt es: „Die an sich guten Beispiele werden nicht immer themenbezogen verwertet. Voll ausreichend!“. O weia, diese Benotung hat mich sogar nach dieser langen Zeit beschämt – im Gegensatz zu der noch schlechteren Bewertung in Englisch, die mich eher gleichgültig ließ.

Zur Auswahl im Abiturfach Deutsch standen übrigens noch zwei weitere Themen. Einmal die Interpretation der Erzählung „Die Abweisung“ von Franz Kafka und die Erörterung eines Zitats von J.R. Oppenheimer, das lautete: „„Es ist nicht die Schuld der Physiker, dass gegenwärtig aus genialen Ideen immer Bomben werden. Solange das so ist, kann man von einer Sache wissenschaftlich begeistert und menschlich tief erschrocken sein.“.

Das BurgGymnasium heute

An die Nacherzählungen in den beiden Fremdsprachen Englisch (William Somerset Maugham „The Dream“) und Französisch (Guy de Maupassant „Madame Perle“) konnte ich mich nur vage erinnern.

Beim jetzigen Lesen der Texte taucht die eine oder andere Unterrichtsbegebenheit in meinem Gedächtnis auf. Im Französischen mehr und intensiver als im Englischen, was sicherlich mit den unterschiedlichen Kenntnissen in der jeweiligen Sprache zu tun hatte. In der Oberstufe hatte ich die Sommerferien als Au-Pair in einer französischen Familie in Frankreich verbracht und konnte daher recht gut und akzentfrei sprechen und flüssig schreiben. Im Unterricht allerdings lag der Schwerpunkt damals auf Grammatik und Übersetzungen.

Dank meines Frankreichaufenthalts erhielt ich die positive Bewertung: „Sehr reizvoll wirkt die ausführliche, verständnisvoll gestaltete, gut kommentierte Nacherzählung, die durch Einfühlungsvermögen und eine gewandte Ausdrucksweise, ja durch Stilgefühl für das Französische Farbe und Leben erhält. Leider beherrscht die Schülerin die Grammatik noch nicht instinktsicher, sodass die umfangreiche Arbeit zu viele Flüchtigkeitsfehler aufweist, um gut genannt zu werden. Sie ist voll befriedigend.“

Meine Nacherzählung im Englischen war dagegen recht lausig. Der Kommentar lautete: „Stilistische Mängel, eine auffallende Anzahl von Rechtschreibfehlern, einfacher Wortschatz und einige fundamentale Verstöße gegen die Grammatik lassen eine Tendenz nach ‚mangelhaft‘ erkennen. Da die Geschichte jedoch verstanden ist, und da an einzelnen Stellen Ansätze zu besserer Sprachbehandlung bemerkbar sind, unter obiger Einschränkung ‚ausreichend‘.“

Dennoch hielt mich das vernichtende Urteil meiner Englischarbeit nicht davon ab, nach einem einjährigen Aufenthalt in London Englisch zu studieren und später als Englischlehrerin zu arbeiten.

1875 wurde das BurgGymnasium als „Städtische Töchterschule“ gegründet. Hier eine Postkarte aus dem Jahre 1912.

Vor kurzem las ich in einer Reportage der Autorin Sibylle Lewitscharoff, dass es ihr nicht möglich sei, in nahen Kontakt mit der Person zu treten, die sie vor Jahrzehnten gewesen sein mag. Sie schreibt: „Nicht nur sind alle Körperzellen in der Zwischenzeit mehrfach ersetzt worden, auch das Denken und Auffassen hat sich geändert. Natürlich wurde Erlebtes in meinem Kopf aufbewahrt, leuchtende Erinnerungsbilder zumal….. aber sie flackern nur zufällig in meinem Kopf….“

Ähnlich erging es mir jetzt auch. Mit der Recherche zu meinen Abiturarbeiten habe ich dem Zufall etwas nachgeholfen und Erinnerungen „wachgerüttelt“.

Ingrid Oberst-Rauschelbach